Moselsteig III – Von Mehring bis Kesten

Goldener Oktober. Jahresverfallsdatum. Unverzüglich zu genießen.

Dreifach erlebt an der Mosel: Sonnenstrahlen durchglänzen den Morgennebel; licht-schimmernde Wassermoleküle voller Sauerstoff und  Frische. Rebstock-Matten hüllen die sanft-gehügelte Landschaft rechts und links der Mosel in einen farb-fröhlichen Schein. Riesling, Grau- oder Weißburgunder changieren gold-nuanciert im Glas. Der Wanderer entspannt und genießt.

Monate zuvor hatte ich für die dritte Moselsteig-Wanderung den Campingplatz in Neumagen gebucht. Das wäre mit meinem Hund Balou praktischer als in einem Hotel zu übernachten, dachte ich mir. Dann kam das Hochwasser, und das war das Aus für den Campingplatz. Kurzfristig findet man an der Mosel keine freien Zimmer. Deshalb musste ich meinen Termin mit dem Moselsteig auf Ende Oktober verschieben.

vierzehn85

Wegen der Busverbindung zwischen Mehring, Neumagen und Kesten habe ich mich für Leiwen entschieden. Mit Hund gibt es nicht viel zu wählen, und doch hat mir der Zufall das Quartier erster Wahl zugespielt. Das vierzehn85 ist die perfekte Unterkunft. Bereits von außen strahlt es dank einer gekonnten Sanierung ein stilvoll-einladendes Willkommen aus. Dieser Eindruck setzt sich innen fort. Professionell, freundlich und zuvorkommend. Das gilt für das gesamte Personal. Knorrige Holzbalken, freigelegte Schieferwände, Eichen-Böden, Holztreppen, Lehmwände und Leuchten verbinden sich mit Kunst und modernen Elementen zu einer zeitlosen Eleganz. Hier wird jedes Detail wertgeschätzt und nicht als unwichtige Kleinigkeit beiseite diskutiert. Das vierzehn85 bekommt von mir den Titel eines best-practice Beispiels noch bevor ich die Speisen und den Wein getestet habe. Ich will mich hier nicht als Restaurantkritiker, Weinkenner oder Gourmet-Experte versuchen. Mir bleibt nur so viel zu sagen: ich habe an den drei Abenden im vierzehn85 gespeist und es war ein Hochgenuss. Chapeau!

aussichtsreich

Der erste Abschnitt meiner dritten Moselsteig-Wanderung ist die siebte Etappe des Moselsteigs. Anders ausgedrückt: ich gehe am ersten Tag von Mehring nach Leiwen. Knappe 15 Kilometer. Die Sonne scheint, aber es ist kalt. Ein schneidender Wind weht die Mosel herauf. Hinter der Moselbrücke geht es direkt bergauf und schon nach kurzem Einwandern ist die Besiedlung passé. Schöne Blicke über die Mosel und auf Mehring, das wird nie langweilig. Noch haben die Bäume Laub, aber der Sturm, der tags zuvor über das Land gefegt ist, hat so einiges an Bruchholz auf den Weg geworfen. Balou findet immer wieder einen Ast zum Spielen, und ich habe die Sorge, dass er sich gleich zu Beginn verausgabt. 

Trotz der überschaubaren Streckenlänge hat Komoot den Abschnitt sieben des Moselsteigs als schwer eingestuft. Zu recht wie ich finde. Denn der Aufstieg entlang des Molesbachs durch den Kammerwald bis zum Felsenkreuz ist nicht nur wild-romantisch schön, sondern auch recht anstrengend. Zusätzlich führt der Pfad, wenn man die Kuppe erklommen hat, über steinig-rutschiges Terrain mit sehr unregelmäßigen Trittlängen steil bergab. Gut, dass ich Balou nicht an die Leine nehmen muss, denn ich bin mit meinen Stöcken haltsuchend ausreichend beschäftigt. Dankbar nehme ich das Stahlseil als Abstiegshilfe an. 

Trio Lago – eine Informationstafel weist auf das so genannte Freizeitzentrum im Moseltal hin. Ich freue mich, dass der weite Blick diesen bemühten Begriff abschwächt und die Freude an der einsamen Wanderstrecke das Grübeln über künstlich geschaffene Freizeitangebote in Naturlandschaften und deren Vermarktung überwiegt.

Der auf tourenplaner-rheinland-pfalz.de angekündigte hölzerne Aussichtsturm mit „Fünfseenblick“ ist wegen Verfalls gesperrt. Das ist kein Problem, ergeben sich auch ohne Turm immer wieder die wunderbarsten Aussichten. Trotz längeren Nachdenkens will mir die Antwort auf die Frage, warum an dieser aussichtsreichen Strecke ein Aussichtsturm gebaut wurde, einfach nicht in den Sinn kommen. Drei Holz-Transport-LKW nehmen die folgende Forstwirtschaftspiste in ganzer Breite in Anspruch. Balou und ich gehen bereitwillig zur Seite, nicken den Fahrern kurz zu und freuen uns, dass auch der bewirtschaftete Wald vielen Nutzern Naturnähe bietet. Früher als erwartet befinden wir uns bereits im Abstiegsmodus nach Leiwen. Es geht durch wunderschöne Weinberge, in denen die Lese in vollem Gange ist. Balou springt munter vor mir her, blickt aber immer wieder besorgt prüfend zurück, ob ich mich nicht zu sehr verausgabt habe.

energiespendend

Am zweiten Tag gehe ich die Etappe neun, allerdings von Kesten nach Neumagen. Ich parke in Neumagen an der Realschule und fahre von dort mit dem Bus bis Kesten. In Mühlheim an der Mosel muss ich umsteigen. Der Anschluss-Bus hält vier Minuten später auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Er fährt auf der linken Moselseite zurück nach Neumagen und macht Halt in Kesten. 

In Kesten führt der Zuweg zum Moselsteig bis Monzel einige hundert Meter an einer Straße entlang. Das ist verkraftbar, weil die dann folgende Strecke von gut 18 Kilometern äußerst abwechslungsreich ist. Viele Waldrand-Kilometer bieten den Augen genügend Abwechslung. Geht es durch den Wald, ist der Pfad meist schmal geschlängelt und spendet in der feucht-kühlen Luft Stille und Atmosphäre. Im Dreiselbachtal kommen wir an den römischen Sauerbrunnen, der aus gut 15 Metern Tiefe zuverlässig Wasser liefert. Wie bereits Julius Cäsar trinkt Balou von dem eisenhaltigen Wasser. Der Energieschub ist so groß, dass er seinen Eroberungsradius prompt vergrößert. Ich hätte wohl auch von dem Wasser trinken sollen.

Oberhalb von Alt-Piesport spaziere ich auf der linken Moselflanke eine längere aussichtsreiche Strecke durch die Weinberge. Mit einem Kreuzweg beginnt ein steilerer Aufstieg. Auch Nicht-Pilgernde werden die Spoarkapelle gerne für eine kurze Atempause nutzen. Bis zur Schutzhütte Weißlei geht es weiter stetig bergauf. Obwohl insgesamt etwa 500 Höhenmeter zu bewältigen sind, kommen wir nicht an unsere konditionellen Grenzen. An der Schutzhütte beginnt ein kontinuierlicher Abstieg. Balou und ich sind im Wander-Flow und genießen Wiesen, Wald, Aussicht, Herbstlaub, klare Luft, Stille und Einsamkeit bis wir auf die B 53 stoßen, nur noch die Moselbrücke queren müssen und fast schon am Ziel sind. 

durchscheinend

Die letzte Etappe ist immer Abschiedsetappe. Sobald das Gepäck verstaut, die Wanderschuhe geschnürt und der Rucksack geschultert sind, kommt dieses leicht melancholische Gefühl auf. Gut neunzigtausend teilweise beschwerliche Schritte schaffen Verbundenheit. 

An der Realschule in Neumagen spuckt uns der Bus in den feucht-kalten Herbstmorgen. Rechts die Mosel, links die Weinberge, aber im dichten Nebel ist davon nichts zu sehen. Als ob der November sich über die Monatsgrenze erheben und klarstellen möchte, dass es jetzt bald ernst wird mit dem Abschied von den schöneren Jahres-Seiten. Der Nebel schluckt die ohnehin spärlichen Geräusche. Balou reagiert nervös auf Stimmen undefinierbarer Herkunft. Die Frühschicht bei der Lese in einem nahen Weinberg, wird uns nach längerem Hinhören klar. Nach erfolgter Gefahreneinschätzung ist Balou schließlich einverstanden, den Weg fortzusetzen. Aber ganz geheuer ist ihm die Situation nicht, so dass er sich mit immer größeren Bruchholzstöcken bewaffnet. Da niemand zu bekämpfen ist, nutzt er sie zum spielerischen Training.

Nur wenige hundert Meter hinter einer aussichtslosen Bank gelingen den Sonnenstrahlen erste Durchbrüche. Was für ein Glück, bei diesem Nebel losgelaufen zu sein. Denn nun folgt ein stilles aber doch beeindruckendes Naturschauspiel. Die folgenden Kilometer versinke ich in dieser Betrachtung. Nach sonnigeren Abschnitten kommen immer wieder nebel-feuchte, und es bleibt über eine längere Strecke ein fesselndes Wechselspiel aus funkelnden Tropfen und dunklen Fichtenstämmen. Wie ein Flugzeug, das die Wolkendecke durchbricht, trete ich an einer Wegbiegung aus dem Wald und schaue auf die weiße Masse vor mir und die darüber hinausragenden herbstlich-bunten Baumwipfel. Die Sonne bleibt uns bis Leiwen treu und vergoldet noch einmal nach Kräften alles, was farbenfroh in Baumkronen und an Rebstöcken aufleuchtet. Ein sehr schöner Abschluss einer spätherbstlichen Moselsteigwanderung.

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