Wein Wandern

Das war eine Zufallsbegegnung. Denn speziell auf dem Pfälzer Weinsteig zu wandern, war nicht geplant. Wir wollten den Weg von Bad Dürkheim nach Deidesheim zu Fuß gehen. Und für diese Strecke schlägt der Tourenplaner Rheinland-Pfalz die dritte Etappe des Pfälzer Weinsteigs vor. Da unser Kurzurlaub ohnehin ganz dem Wein gewidmet war, lag es nahe, diesem Vorschlag zu folgen.

Wein proben

Gut 16 km sind das, wenn man am Bahnhof in Bad Dürkheim startet. Und so waren wir uns einig, den Weinkonsum am Vorabend der Wanderung nicht ausufern zu lassen. Dieser Vorsatz war gut, denn die Weine des Bio-Weinguts Pflüger in Bad Dürkheim sind ein Hochgenuss und wollen im Prinzip alle verkostet werden. Wer einen perfekt ausgebauten Pinot Noir als Lagenwein sucht und sich von vanilligen und caramelligen Nuancen betören lassen möchte, kommt am Weingut Pflüger nicht vorbei. Dies gilt übrigens auch für die Riesling Weine und ganz besonders für meine Favoriten, die weißen und roten Biodynamite Cuvées. Mag sein, dass der werberische Unterton den üblichen Reisebericht-Stil sprengt. Aber ich bin von der Philosophie des Winzers so begeistert, dass ich hier guten Gewissens kurz ins Schwärmen geraten darf.

Wein Abwege

Vom Bahnhof in Bad Dürkeim, Dörrkhemm, sagen übrigens die Pfälzer – jedenfalls habe ich das so verstanden – geht es ein paar hundert Meter durch den Ort aufwärts. Die letzten Wohnhäuser in exponierter Lage sind von Reben umgeben und bieten einen Blick über eine fruchtbare Landschaft und auf eine pulsierende Region. Die Mahnmale der Industrie kurz vor dem Horizont sind zum Glück so weit entfernt und durch den Dunst auch weichgezeichnet, dass sie mir meine Wanderlaune nicht verderben. Wir lassen uns auch nicht dazu verleiten, über Segen und Fluch der chemischen Industrie zu diskutieren. Die sommerlichen Temperaturen, die weite Sicht, die üppigen Weinberge und die noch unverbrauchten Energiereserven beflügeln uns eher, über die Ursache von allem nachzudenken und die Bedeutung unseres Kosmos‘ angesichts der ungeahnten Weiten ungezählter Galaxien zu besprechen. Tatsächlich, so kommt es mir beim Schreiben im Nachhinein in den Sinn, haben Pflüger-Weine bewusstseinserweiternde Wirkung.

Der Weinsteig führt uns zum Dürkheimer Flaggenturm hinauf. Den kurzen Abstecher machen wir allerdings nicht, da uns der Zugewinn an Sichtweite oder -weise durch etwas mehr Höhe und Information nicht plausibel genug erscheint, um unseren gemächlichen Wandertrott dafür zu unterbrechen. Bis zur Nolze-Ruhe bewegen wir uns durch schwül-warmes Gelände, eingefasst und beschirmt im Wechsel von benadelten und beblätterten Zweigen. Der nach einem Dörrkhemmer Kaufmann benannte Platz lädt mit verschiedenen Sitzmöbeln zur Rast. Unsere Erschöpfung hält sich noch in Grenzen, aber reichlich zur Verfügung stehende Zeit und Pausenverpflegung wollen sinnvoll genutzt werden.

Klimatisch noch in den Assoziationen zum tropischen Regenwald versunken, höre ich unvermittelt den Ausruf: „Das duftet hier wie in der Provence.“ Tatsächlich verläuft der schmale Pfad jetzt bei blauem Himmel und strahlender Sonne, flankiert von gelb-rötlichem Sandstein durch lichten Kiefernwald, dessen ätherischer Duft uns im Sekundenbruchteil aus dem Regenwald unter provenzalische Pinien versetzt hat. 

Während sich der Pfälzer Weinsteig anmutig, abwechslungsreich, einsam, beschattet, besonnt, über Hügel und durch Täler schlängelt und windet, kommt mir Erich Kästner mit seinem Gedicht „Im Auto über Land“  in den Sinn. Im 21. Jahrhundert sind wir zwar nicht mit dem Auto unterwegs, und es ist auch nicht die Lust auf Bier, die uns antreibt, aber der Weinsteig weckt doch die Vorfreude auf ein Gläschen Wein im Zielort Deidesheim. Noch sind aber einige Kilometer zu absolvieren, die uns zunächst nach Wachenheim hinabführen, um sogleich wieder zur Wachtenburg über anstrengende Stufen aufzusteigen.

Auch hier verzichten wir auf das Betreten der Burg und weitere Stufen, weil wir mit dem Blick über den Rheingraben, den uns der reguläre Weg regelmäßig bietet, zufrieden sind. Im übrigen ist es inzwischen ziemlich heiß, und ich kann es guten Gewissens meiner Rücksicht auf Balou zuordnen, die weiteren Stufen ausgespart zu haben.

Wein selig

Nach zwei Dritteln der Strecke haben wir die rund 480 Höhenmeter absolviert. Jetzt geht es nur noch bergab. Zahlreiche am Boden liegende Kiefernäste mahnen trotz des herrlichen Sommerwetters, dass der Pfälzerwald auch anders kann. Offenbar hat ein Gewittersturm vor ein paar Tagen die Standfestigkeit der Bäume geprüft. Friedlich, still aber auch geheimnisvoll wirkt der sanft geschwungene Wald-Pfad, der uns auf die Begegnung mit den Heidenlöchern vorbereitet. Während wir aus der Bezeichnung noch absurd-gruselige Deutungen herleiten, stehen wir bereits in dieser zerklüfteten und von Mauerresten durchzogenen Waldlandschaft, in der Menschen vor gut tausend Jahren eine Befestigung gebaut hatten, um vor angreifenden Invasoren Zuflucht zu finden. Auch die einige Serpentinen tiefer liegende Michaelskapelle ist im übertragenen Sinn ein Zufluchtsort. Von oben wirkt der Steinaltar für die Freiluftmessen wie ein Opferstein. Selbst dem Nicht-Religiösen erschließt sich hier das Bedürfnis der Menschen nach Befriedung und der Versöhnung mit dem unkalkulierbar Ewigen.

Wein Abschied

Jetzt sind es noch einige hundert Meter durch sonnengeflutete Weinberge bis zum schicken Örtchen Deidesheim. Im Schlosspark und auf dem Innenhof des Restaurants Bergkeller gibt es zum Tagesabspann auch einige Gläschen Wein, die es aber schwer haben, mit den am Vorabend verkosteten Pflüger-Weinen zu konkurrieren. Mit dem Zug fahren wir zurück nach Bad Dürkheim und sehen durch die Fenster unsere Tagesleistung im Wald verborgen an uns vorrübergleiten.

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