Moselsteig V – Von Ürzig bis Zell

Anders als zu Beginn des Moselsteigs an der luxemburgischen Grenze ist das Moseltal hier recht schmal. Auf der Reiler Seite fällt es waldig ab, während die gegenüberliegenden Steillagen dem Wein vorbehalten sind. Oberhalb der Abbruchkante breitet sich der Wald wie ein langgestrecktes Topping aus. 

In der schmalen Mosel-Senke herrscht ein mildes Klima. Ganz anders auf den Höhen von Eifel und Hunsrück rechts und links der Mosel, auf denen es oft ziemlich rau zugeht. Davon ist an den drei Tagen, die ich hier verbringe allerdings wenig zu spüren, obwohl mich die Abschnitte 12, 13 und 14 immer wieder aus dem Schutz des Tals in den Wald und auf die Höhe bringen.

Am ersten Tag hole ich Abschnitt 12 nach, der vor einem halben Jahr einer Unwetterwarnung zum Opfer gefallen war. Hierzu fahre ich mit dem Auto nach Traben-Trarbach, parke am Alten Bahnhof, versorge mich in der Bäckerei beim Edeka und steige dann in den Bus. In Ürzig geht es die schmale und kurvige Straße durch den Ort steil nach oben. Hier zeigt die freundliche Busfahrerin ihr Können als Alleinunterhalterin. Gesten- und wortreich redet sie auf die entgegenkommenden Fahrzeuge ein und verschafft sich auf dem Weg nach oben so die nötige Luft auf der Straße und für ihr Nervensystem. 

Steigerungsfähig

Der Weg ist auf den ersten Kilometern wie das Wetter: es geht so. Leicht neblig, weder kalt noch warm, nie weiß man, ob es tröpfelt oder nicht, und von der Straße kommt man auch nicht so richtig weg.  

Aber schließlich gelingt es doch, und dann zeigt sich der Moselsteig so, wie ich es erwartet hatte. Mal waldig pfadig, dann Weinbergen folgend und aus den unterschiedlichsten Blickwinkeln Moselsicht bietend.

Ganz anders als mein Gastgeber in Reil vom Weingut Schuh-Sausen es beim abendlichen Schoppen geunkt hatte. Na ja, vom Moselsteig halte er nicht viel. Der führe schließlich überwiegend durch Wald. Da seien die kleinen Sträßchen in den Weinbergen von einem anderen Kaliber. Die böten unverstellte Sicht auf den Fluss. Aber manche Wanderer wollten wohl eigensinniger Weise nicht auf asphaltierten Strecken laufen. Konsequenterweise war ich dann auch zu einer Planwagenfahrt mit Weinverkostung eingeladen. Gegen eine kleine Teilnehmergebühr, versteht sich.

Mehr ist zum Weingut Schuh-Sausen eigentlich nicht zu sagen. Die Zimmer sind ordentlich und das Frühstück ausreichend. Leider wirkt das Gebäudeensemble in der Dorfstraße wie zufällig zusammengewürfelt, historisierende Elemente buhlen mit allerlei Deko-Nippes und verstaubten Auslagen in einem beschädigten Schaukasten um die Aufmerksamkeit potentieller Gäste. Auch das Frühstückshaus an der Schauseite zur Mosel präsentiert sich von außen renovierungsbedürftig und im Innern mit bereits bekannter Dekorationsfreude. Nach dem Frühstück darf der Gast den Tisch mit abräumen, da hier alles wie in einer großen Familie sei, informiert die Wirtin. 

Gut, dass ich anschließend in die Einsamkeit des Moselsteigs flüchten kann. Obwohl die drei Etappen richtig schön und abwechslungsreich sind, bekomme ich selten andere Wandernde zu Gesicht. Diesmal erlebe ich das Wandern auf dem Steig wie eine Wellnesskur für die Sinne.

Etappe 12 wird zum Schluss mit einem aussichtsreichen Abstieg nach Traben-Trarbach belohnt. Mit dem Blick auf die Fassaden entlang der Moselpromenade, die Ruine Grevenburg und das Buddha-Museum macht die Wegführung den etwas holprigen Einstieg wett. Was übrigens auch für das Wetter gilt, denn angenehme Temperaturen und Sonnenschein begleiten die Ankunft.

Augenblicke

Den letzten Schoppen werde ich nicht im Weingut Schuh-Sausen nehmen. Nach einem Blick in google-maps hatte ich mich bereits zu Hause für ein Abendessen im Bistrot Café Ballé entschieden. Wie sich herausstellt, war das eine gute Wahl. Ich habe hier gleich drei Mal zu Abend gegessen und dank einer guten Speisenauswahl in bester Qualität und einer umfangreichen Weinkarte, die zum Glück auch heimische Bio-Weine anbietet, schöne Stunden erlebt. Aus dem Wintergarten und von der Terrasse gibt es einen schönen Blick auf die Mosel. Gelegentlich ziehen Frachtkähne und Flusskreuzfahrtschiffe vorbei. Dazwischen sind die Verkehrslücken groß genug, dass Schwäne, Enten, Gänse und Blesshühner ungestört ihren Verrichtungen nachgehen können.

Am nächsten Morgen mache ich mich bei Sonnenschein und schon fast sommerlichen Temperaturen auf den Weg zur Bushaltestelle auf der anderen Seite der Mosel. Der Bus kommt pünktlich und bringt mich zuverlässig nach Traben-Trarbach. In der Brücken-Apotheke kaufe ich Sonnencreme und gehe dann über die Mosel-Brücke Richtung Moselsteig, der durch den schattigen Wald in Serpentinen zur Grevenburg Ruine aufwärts führt. Ich genieße die wunderbare Sicht auf die Burgruine und über das Moseltal und setze die Wanderung gut gelaunt fort. Abschnitt 13 zeigt sich als einer der bisher schönsten Abschnitte des Moselsteigs. Ich wundere mich, wie oft sich der Begriff schön steigern lässt. 

Häufig auf der Kammlage gehend, gewährt mir die Etappe Blicke auf die Mosel und die bewaldeten Seitentäler, in denen Eichen und Buchen unter ihren dicht belaubten Kronen jahrhundertealte Geschichten beschirmen. Das fast geheimnisvoll stille Starkenburg beflügelt Gedanken solcher Art, ebenso wie das letzte Haus des hochgelegenen Örtchens, das halb im Wald liegt und sich dank überraschender Installationen mit einer geheimnisvollen Aura umgibt. Es würde mich nicht wundern, hier plötzlich einem Waldgeist, einer Fee oder einem der sieben Zwerge gegenüberzustehen.

Antriebskräfte

Passend zur Kulisse richten sich nach einiger Zeit schwarze Gewitterwolken drohend vor mir auf. Dem Donnergrollen nach zu urteilen, verzieht sich die Gewitterfront auf die andere Moselseite. Dennoch beschleunige ich und komme ohne Zwischenfall bis Enkirch. Hier stellt sich die Frage, abbrechen oder weiterlaufen? Ich ziehe Wetteronline und Drops zu Rate. Beide sagen „Weiterlaufen“ und beide irren. Während ich mich noch über die schöne Streckenführung freue, rumort es plötzlich auf meiner rechten Seite. Ich schaue nach oben hinter mich und sehe eine neue Gewitterfront, die sich mir klammheimlich an die Fersen geheftet hat.

Jetzt wird der Rest der Strecke zu einem Trail-Run. Außer dem mir immer mehr auf die Pelle rückenden Grollen und einigen dicken Tropfen komme ich ohne Blitz, Hagel und Sturm in Reil an. Dank der wunderbaren Streckenführung kann ich trotz der Eile die Mosel und den Blick auf Reil genießen, denn der Pfad bietet auf den letzten Kilometern unverstellte Sicht, ohne dass ich die tiefergelegenen Asphalt-Wirtschaftswege in den Weinbergen nutzen müsste. Kurz nach meiner Ankunft im Quartier öffnet der Himmel die Schleusen und flutet das Örtchen mit einem kräftigen Schauer. Der Gang zum Abendessen im Bistrot Ballé findet bereits wieder besonnt statt, und die Mosel fließt von oben betrachtet fast träge dahin, als ob nichts gewesen wäre. 

Etappe 14 ist die kürzeste Strecke an diesem Wanderwochenende. Deshalb gehe ich sie am Abreisetag und wie immer gegen den Strom. Mit dem Bus bis Zell/Mosel, dann über die Zeller Fußgängerbrücke auf die andere Seite und sofort in die Weinberge. Von hier aus wirkt Zell wunderschön mit seinen pittoresken Giebeln und Türmchen. 

Weitschweifend

Der Weg bleibt dem Wein treu und bietet unbeabsichtigt Anschauungsunterricht in konventionellem und ökologischem Weinbau. Während zwischen den konventionell kultivierten Rebstöcken alles andere Gewächs, das sich ins Licht gewagt hat, traurig vor sich hin gilbt, strotzen die ökologischen Reihen vor grüner Energie, ohne dass es verkrautet oder ungepflegt wirken würde. Wie ein Mahnmal steht ein kleiner Sprühhubschrauber auf einem Landeplatz und freut sich schon auf den Tag, an dem er die Menschen im Freilichtmuseum an eine weniger rühmliche Episode im Weinbau erinnern wird. 

Und dann kommt tatsächlich das Glanzlicht der Tour. Das beginnt bereits oberhalb von Briedel. Der Moselsteig führt auf der gegenüberliegenden Moselseite hunderte von Metern fast niveaugleich über die Höhe und bietet einen weiten Blick die Mosel hinauf. Über Pünderüch im Tal schweift der Blick hin zur Marienburg, die auf dem Rücken einer Erhebung im Zentrum der Moselschleife thront. Wie in einer Miniaturwelt fahren in der Ferne Personen- und Güterzüge über den Pündericher Hangviadukt, um dann urplötzlich im Prinzenkopftunnel zu verschwinden. Die Mosel ist mit einigen Schiffen weiß getupft und der sattgelbe Ginster posiert im Vordergrund in voller Blüte. 

Der Rest des Weges vergeht wie im Fluge und nach einem waldigen Abschnitt kommt Reil ins Bild. Vor dem endgültigen Aufbruch genieße ich noch ein Stück des selbstgebackenen Kuchens im Bistrot Ballé und freue mich, dass sich „schön“ weit über den Superlativ hinaus steigern lässt. 

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