Ein Bilderbuch könnte die Mosellandschaft nicht schöner, lieblicher, kitschiger zeigen, als sie sich vor Ort erleben lässt. Kein Wunder also, dass sich so viele Niederländer in dieser weinseligen Idylle ein Zweitdomizil schaffen.
Doch, ich finde, man sollte sich schon wundern.
Natürlich teile ich die Begeisterung für diese sanft geschwungene, stellenweise schroff abfallende Landschaft, für die sonnenwarmen Steine, auf denen sich kleine Eidechsen wärmen, für den Wanderfalken, der elegant mit den aufsteigenden Luftströmen spielt, und für die Schleifen des Moseltals, die hinter jeder Biegung einen Neuanfang versprechen.
Leider – und das muss ich nach vielen Moselsteig-Etappen einmal klar sagen – können die Ortschaften nicht mit der Schönheit der Natur mithalten.
Ob Traben-Trarbach, Pünderich, Briedel, Zell, Bullay oder Neef – selbst jene Orte, die sich für den Tourismus herausgeputzt haben, kämpfen vielerorts mit wenig harmonischen Bau- und Gestaltungssünden. Viele Fassaden, Innenhöfe, Tore, Aufgänge und Vorgärten wirken vernachlässigt oder überladen, hier eine auffällige Außendämmung, dort eine überdimensionierte Terrassenüberdachung – man hätte es oft besser lassen sollen.
Aber genug gemeckert.
Denn sobald der Blick sich von den Bausünden abwendet und auf die Natur richtet, eröffnet sich eine atemberaubende Kulturlandschaft, die zum Wandern einlädt.
Von Zell nach Bullay – Ein perfekter Wandertag
Unsere Tour startet in Zell, wo uns ein knackiger Anstieg erwartet. Der schmale Pfad schlängelt sich am Klettersteig vorbei – eine gute Alternative, wenn man, wie ich, mit einem Vierbeiner unterwegs ist. Balou meistert die in den Stein gehauenen Stufen mit seinen kurzen Beinen erstaunlich flink.
Die Sonne scheint, die Luft duftet nach warmem Laub und Kräutern, der Körper kommt in Schwung – und der Schweiß rinnt. Oben angekommen, treffen wir auf eine launige Männerrunde mit einheitlichen T-Shirts, kühlen Getränken und Pedelecs. Spöttisch wird uns nahegelegt, dass es auch weniger anstrengende Wege nach oben gäbe. Aber wir wissen: Eine Aussicht ist umso schöner, wenn man sie sich erarbeitet hat.
Der Moselsteig führt uns weiter durch eine abwechslungsreiche Landschaft – immer wieder bieten sich spektakuläre Ausblicke auf die Moselschleifen. Zwischendurch gibt es Waldabschnitte und Streuobstwiesen, in denen mit alten Apfelsorten experimentiert wird und wo all das gedeihen und blühen darf, was der Natur in den Sinn kommt.
Bei diesem sonnigen Wetter sind wir nicht allein unterwegs. An den Rastplätzen überholt man sich immer wieder gegenseitig und kommt irgendwann ins Gespräch. Und wie das bei Wandernden über 50 so ist, drehen sich die Gespräche um Fersensporne, Bandscheibenvorfälle und Meniskusschäden. „Fit sterben“ empfiehlt ein Wanderpaar. Das hätten sie in einem Vortrag gelernt. Dieses Ziel müsse man sich allerdings hart erarbeiten. Ich steuere noch einen Tipp für Liebscher & Bracht-Übungen bei, dann trennen sich unsere Wege.
Nach etwa 10 Kilometern erreichen wir Bullay. Von hier nehmen wir den Zug nach Neef. Für eine „schwere Etappe“ laut Komoot war das durchaus entspannt – zwischen spätem Frühstück und frühem Abendessen gut machbar.
In Neef gibt es nur zwei geöffnete Restaurants, die Wahl fällt also leicht: Die Blaue Traube überzeugt mit guten Speisen und Weinen.
Bullay nach Neef
Die folgende Etappe von Bullay nach Neef ist offiziell nur eine halbe Etappe des Moselsteigs, knapp 12,2 Kilometer lang.
Doch da wir keinen fixen Termin für die Ankunft in Koblenz, dem Ende des Moselsteigs, haben, genießen wir den Luxus eines gemächlichen Tempos.
Der Aufstieg ist sanfter als am Vortag und eröffnet uns nochmals herrliche Blicke auf die Marienburg und die Prinzenkopfbrücke. Wir passieren die Blitzeiche auf dem Neefer Schopp, blicken bereits von Weitem auf Neef herab, verweilen am Höhenkreuz, lesen Lehrreiches über Mikroklima und Fauna und bestaunen die Paraglider, die sich über den Steilhängen des Bremmer Calmont in die Lüfte schwingen.
Der Abend klingt weinselig aus.
Von Ediger-Eller zurück nach Neef
Am nächsten Morgen nehmen wir den Zug nach Ediger-Eller, um die 8,4 Kilometer lange Strecke zurück nach Neef zu wandern – ideal für den Abreisetag.
Der erste Anstieg ist steil und fordernd, und genau deshalb macht es Sinn, diese Passage bergauf zu gehen. Lieber ein anstrengender Aufstieg als ein mühsamer, rutschiger Abstieg! In den Kehren bleibt genug Zeit, den sich ständig verändernden Blick auf das Moseltal zu genießen. Der Morgendunst verleiht der Landschaft einen fast mystischen Touch.
Balou, ungeduldig wie immer, wartet bereits zwei Kehren oberhalb.
Oben angekommen, führt der Weg durch lichten Wald und offenes Gelände. Schließlich kommt der Abstieg oberhalb von Bremm: Der Kreuzweg hinab ins Tal verlangt noch einmal volle Konzentration. Waden und Oberschenkel schmerzen, die Sohlen suchen Halt, und die Kreuzwegstationen geben der Qual eine Richtung.
Unten angekommen, wandern wir vorbei an Weingärten und Obstwiesen, über die Brücke – und zurück zum Auto.
Ein perfektes Wanderwochenende. Nächstes Ziel: Moselsteig im September 2025 – vielleicht mit vier Etappen?