Vier Einzeletappen müssen wir gehen, bevor es um Ostern, Pfingsten und in den Sommerferien dann die längeren Passagen zu meistern gilt. Über die ersten beiden Niederrhein-Paris Etappen habe ich bereits berichtet. Zwei Tages-Strecken stehen noch aus. Wir legen sie zusammen auf einen Samstag und Sonntag. Und wieder einmal kommen wir in den Genuss trockenen und sonnigen Wetters.
Zwei Tage am Stück mit Zelt-Übernachtung, schwerem Gepäck und insgesamt etwa 47 Wanderkilometern sind unsere erste richtige Herausforderung.
Pilgerweg
Wir starten am Keulseweg in Reuver und sind gut gelaunt. Die Sonne scheint, die Bäume halten den kühlen Wind ab, und der Weg verläuft als schmaler Pfad entlang der Grenze. Gute viereinhalb Kilometer wird er sie nicht verlassen und sich als schnurgerade Sandpiste offenbaren. Gelegentlich begegnen oder überholen uns Radfahrer. Ansonsten ist es ruhig. Links flankiert uns der Wald, rechts erstrecken sich ausgedehnte Wiesen durchzogen von Gewässern und besetzt mit freundlich grasenden Galloway-Rindern.
Wandern ist pilgern, ob man nun spirituell veranlagt ist oder nicht. Das geduldige Aneinanderreihen von Schritten, das Versinken in die langsam vorbeiziehende Landschaft, die Anstrengung, die frische Luft, die Stimmen der Natur vereinen sich zu einem Mantra, das früher oder später den mentalen Lärm zurückdrängt und Raum schafft für tieferes Empfinden. Religiöse Landmarken wie sie am Niederrhein mit Heiligenhäuschen oder Kruzifixen vorkommen, passen sehr gut in diesen kontemplativen Rahmen. In anderen Regionen dieser Erde hängen Gebetsfahren, stehen Buddhafiguren, Altäre oder Haine. Dass wir nicht auf dem Weg nach Santiago de Compostela sind, schadet der inneren Einkehr nicht.
Grenzenlos
Nach knapp fünf Kilometern fächert sich der Weg in vier Abzweigungen auf. Wir nehmen diese Unterbrechung an und legen die erste Rast ein. Auf der Wiese neben unserem Rastplatz befinden sich Grabhügel, in denen eine Zivilisation vor über 4.500 Jahren bereits ihre Toten bestattet hat.
Nach einigen waldreichen Kilometern stoßen wir endlich auf Wasser. Balou freut sich an diesem sonnig trockenen Tag besonders über die Erfrischung. Kurvenreich mäandert die Schwalm oder die Nette Richtung Maas. Die Strömung ist so stark, dass es sogar einige Kanuten auf das Flüsschen zieht.
Im Elmpterwald verlassen wird endgültig den deutschen Boden, während wir zuvor immer mal wieder diesseits und jenseits der Grenze waren, ohne es bemerkt zu haben. Die Natur interessiert sich ohnehin nicht für diese von Menschen erschaffenen künstlichen Linien. Durch ein sumpfiges Naturschutzgebiet, ländliche Besiedlung und karge Weiden nähern wir uns den Randgebieten von Roermond. Statt die Autobahn 73 mehrfach zu queren, wie auf der komoot-Karte dargestellt, laufen wir einige Zeit über sie hinweg. Das ist für uns als Fußgänger möglich, weil sie auf einer Länge von vier Kilometern unterirdisch verläuft. Die noch relativ neue aber sehr eintönig-gleichmäßige Bebauung drückt die Stimmung und harmoniert nicht mit den gut angelegten Grünflächen, Spielplätzen und Wegen. Wir sind froh, diesen Abschnitt hinter uns lassen zu können und gehen eine schmale asphaltierte Straße, die für Radfahrer, Skater, Rollstuhlfahrer und Spaziergänger durch Wiesen, Äcker und über die Rur führt, die sich hier in die Maas ergießt. Erst als vor uns unvermittelt Autos aus der Erde ans Tageslicht drängen, wird uns bewusst, dass die Szenerie von Rindern, Rur und Reihenhäusern von einer Autobahn untergraben ist.
Ossa Base Camp
Wir verlassen die Autobahn und Roermond, passieren Obstplantagen, frisch bestellte Äcker, kleine Wäldchen und sind bald an unserem Tagesziel dem Ossa Base Camp. Obwohl nicht weit von Roermond entfernt, liegt es inmitten der freien Natur. Es strahlt eine niederländische Nonchalance aus, und wir werden nett empfangen, obwohl der Platz eigentlich erst am 1. April öffnet. So ist unser Zelt dann auch das einzige auf der schönen weitläufigen Wiese, auf der in der Saison gut 20 Stellplätze im Kreis angeordnet sind. Die Sanitäranlagen sind spartanisch aber ausreichend. Wir haben alles, was wir brauchen und können uns auf Zeltaufbau und Abendessen konzentrieren. Als jemand, der gerne auf naturnahen Campingplätzen übernachtet, kann ich das Ossa Base Camp empfehlen. Hier gibt es keine unnötigen Barrieren, Zäune, Plastikkübel oder dergleichen. Hier hat die Natur das „Sagen“ und das gibt diesem Platz eine sehr angenehme Atmosphäre.
Erschöpft gehen wir mit Einbruch der Dunkelheit schlafen. Ich freue mich, bei den recht niedrigen Temperaturen meinen neuen Schlafsack testen zu können. Der Exped Trekkinglite -10 hält was er verspricht. Der Kragen des Schlafsacks lässt sich gut anpassen. Schnell fühle ich mich in diesem Schlafsack wohl und genieße die Nacht ohne zu frieren. Mein auf Flugmodus geschaltetes Handy kann ich in einer Innentasche des Schlafsacks verstauen und die Powerbank kommt mit meiner Daunenjacke in den „Fußraum“. Ein tieffliegender Hubschrauber und Signalhörner aus dem nahen Ballungsraum unterbrechen den Schlaf nur kurz und können die Erholung nicht schmälern.
Sommerzeit
Mit der Morgendämmerung werden wir wach. Dass es eine Zeitumstellung gab, haben wir nicht bemerkt. Obwohl eine Stunde vorgestellt, war die Dunkelphase lang genug für einen regenerativen Schlaf. Die Garmin Uhr stellt sich automatisch um, so dass ich erst im Laufe des Tages realisiere, dass jetzt Sommerzeit ist. Der frühe Morgen hat mit Sommer wenig zu tun. Es ist knapp über null Grad, Nebel wabert über die Camping Wiese, es tropft von den Bäumen und ein kalter Nordwind weht durch die noch nicht belaubten Büsche. Im Stehen und mit allen zur Verfügung stehenden Bekleidungsstücken umhüllt, bereiten wir unser Frühstück zu. Der lösliche Kaffee schmeckt ausgesprochen gut und das selbst zubereitete Müsli hat Potential.
Umleitung
Das Zelt muss leider nebelfeucht in den Packsack und auch Schlafsack und Isomatte können nicht zum Trocknen nach draußen. Das macht den Rucksack im Vergleich zum Vortag tatsächlich schwerer und so ziehen wir mit schmerzenden Muskeln und Gelenken und drückendem Rucksack los. Die Strecke bleibt abwechslungsreich. In den Niederlanden ist eben alles dicht zusammen. Und so wechselt die Szenerie auch mit durchschnittlich 3,4 Stundenkilometern häufig ihr Gesicht. Wir quälen uns bei kalt-feuchter Witterung durch Maasbracht, dann entlang des Juliana Kanals. Eigentlich sollte der Weg durch das Oude Maas Gebiet führen. Da hier aber eine aufwendige Fischpassage gebaut wird, müssen wir hunderte von Metern über einen asphaltierten Radweg gehen. Das zermürbt, aber wir schaffen es. Und als wir hinter Ohé en Laak den Deich queren und an einem Weidegatter rasten, schafft die Sonne es durch den Nebel.
Die folgende Strecke bis kurz hinter Maaseik verdient das Prädikat „wunderschön“. Der Pfad führt durch ein schmales Naturschutzgebiet entlang der Maas. Das Wasser von Oude Maas und Maas glitzert, Wildpferde schauen uns neugierig an, vereinzelt lassen sich Möwen auf dem Wasser nieder, trotz einer zweiwöchigen Trockenheit ist alles grün und die Kirchtürme von Maaseik und Roosteren könnten einem Bilderbuch entspringen. Unter der Pater Sanger Brücke lädt uns der Schatten zu einer Rast ein, um die letzten Kräfte für den vier Kilometer langen Endspurt zu mobilisieren.
Planänderung
Vier Etappen auf dem Weg nach Paris. Das war ein schönes Vater-Tochter-Erlebnis. Für den Rest der Strecke muss allerdings der TGV ran.
Ich werde von Maaseik gemeinsam mit Balou abrupt Richtung Süden schwenken, zunächst mit dem Fernziel meines Lieblingscampingplatzes Cevennes-Provence in den Cevennen. Auf diesem Weg geht es bereits im April weiter. Dann werde ich auch einen Erfahrungsbericht zu meinem neuen Rucksack dem Thule Versant 70 und meiner Schlafmatte der Exped SIM UL 5 LW geben. Ausprobieren werde ich auch einige Verpflegungstipps der Wanderbloggerin littleredhikingrucksack.