Statt weiter Richtung Westen geht es jetzt direkt nach Süden. Deshalb laufe ich von Maaseik in Belgien, dem letzten Etappenziel unserer Niederrhein-Paris Challenge, wieder Richtung Niederlande. Auf den ersten Kilometern führt der asphaltierte Langeafstandswandeling durch das Naturschutzgebiet Maasverden. Ich habe für sechs Tage Proviant für Balou und mich im Gepäck und stelle fest, dass mein Thule Versant 70 zu schwer ist. Ich kann es gleich zu Beginn sagen: er lässt sich zwar besser auf meine Rückenform einstellen als der Vorgänger von Deuter, aber nach einigen Kilometern ziehen die knapp 20 Kilogramm so sehr, dass es nicht mehr möglich ist, das Gewicht überwiegend auf der Hüfte zu halten.
Übergewicht
Da alles eine Sache des Kopfes ist, laufe ich weiter. Der Weg ist abwechslungsreich, daran kann das Gewicht zum Glück nichts ändern. Immer wieder geht es durch Naturschutzgebiete mit freilaufenden Rindern und Pferden und vielen Wasservögeln bei meist weiter Sicht.
Es ist Aprilwetter. Sonnige Abschnitte wechseln sich mit dunkel-drohenden Wolkenfeldern ab. Der Wind ist kalt und weht in kräftigen Böen. Mal wärmt die Sonne, dann ist es wieder zugig kühl. Ich beginne darüber nachzudenken, wann der richtige Zeitpunkt ist, den Regenschutz über den Rucksack zu ziehen, die Regenjacke und vielleicht sogar die Regenhose anzuziehen. Ein Graupelschauer holt mich jäh aus diesen Gedanken. Während Balou fröhlich die weichen weißen Körner jagt, kämpfe ich im Wind mit den Regenutensilien. Als ich schließlich alles angelegt habe, meldet sich die Sonne wieder zurück. Die Maas glitzert, ich schwitze unter der Regenjacke und in den Rucksack ist doch Feuchtigkeit eingedrungen. Gut, dass es ein Graupelschauer war, der zu großen Teilen abprallt, und glücklicherweise habe ich mein Gepäck in wasserdichten Packbeuteln verstaut. Ich lerne jedenfalls: die Regenplane gehört rechtzeitig über den Rucksack und die Regenjacke muss griffbereit sein.
Transit-Passagen
Die Personenfähre bei Berg an de Maas bringt uns wieder auf die niederländische Seite. Zwischen Urmond und Geleen muss ich hunderte ermüdende Meter an einer Hauptstraße entlang, die ein riesiges Kraftwerk flankiert. Vielleicht ist es gut, auf einer Trekking-Tour auch solche Passagen zu erleiden, denn ohne diese Industrie-Anlagen funktioniert das moderne Leben nicht, aus dem mein Trekking-Trip schließlich nur eine kleine Flucht ist.
Durch Dörfer und Städte zu laufen genieße ich. Villen und sozialer Wohnungsbau, gesichtslose Investoren-Architektur und liebevoll sanierte Fassaden, protzige Bürobunker und schüchterne kleine Läden bieten Augen und Gedanken anregende Abwechslung.
Dutch Mountains
Ein gutes Stück hinter Geleen geht es durch den Danikerbos auf den Danikerberg. Die erste nennenswerte Steigung auf meiner Wanderung. Oben genieße ich die Aussicht. Jetzt bleibt es hügelig. Es ist unerwartet schön hier in Süd Limburg. Balou spielt ohne Verständigungsprobleme mit niederländischen Hunden, und ziemlich erschöpft erreichen wir den Campingplatz de Botkoel bei Puth.
Der Empfang ist freundlich, die Sanitäranlagen sind modern und sauber, von den Spülbecken aus hat man einen wunderschönen Landschaftsblick, und das terrassierte Gelände ist weiträumig und gut gepflegt. Ich finde am Rand des Geländes einen schönen Platz für mein Zelt. Vor mir blühen die Obstbäume, mein Blick geht darüber hinweg bis zum hügeligen Horizont. Dahinter liegt Aachen, sagt der Campingplatzbetreiber. In der Nacht tröpfelt es noch einmal, das war es dann mit dem Niederschlag für die nächsten fünf Tage.
Kopfsache
Mein neuer Exped Dauenschlafsack wärmt prima. Aber er riecht sehr stark. Ich habe ihn vor der Wanderung nicht gewaschen, weil ich die Daunenfüllung schonen wollte. Ein Fehler, denn jetzt muss ich undefinierbare Chemikalien chinesischen Ursprungs einatmen, was meiner Laune schadet. Ob es dieser Geruch ist oder meine Entscheidung, am nächsten Morgen ohne Kaffe und Frühstück loszulaufen, das weiß ich nicht: jedenfalls stellt sich ein hartnäckiger Kopfschmerz ein.
Mehrfach frage ich mich, warum ich das eigentlich mache. Die Antwort darauf will sich nicht einstellen, aber ich setze einfach weiter einen Fuß vor den anderen.
Rastlos
Der Weg führt hinter Nuth durch Felder, Bach-Auen und über sanfte Hügel. Längst hätte ich rasten sollen. Leider finde ich den idealen Platz nicht. Umgestürzte Bäume oder Baumstümpfe habe ich seit Stunden nicht mehr gesehen, Bänke stehen immer nur an befahrenen Kreuzungen oder auf zugigen Dorfplätzen. Irgendwann nehme ich dann doch die nächstbeste Bank an einem Sportplatz, auf dem gerade zwei Damen-Mannschaften unter lautstarken Anfeuerungsrufen engagiert Fußball spielen. Ich packe meinen Kocher, Tasse, Wasser und Gemüse-Brühe aus dem Rucksack, setze mich mit dem Rücken zur Sonne und in wenigen Minuten kann ich mir das heiße Elixier einflößen.
Eine heiße Brühe ist wie ein Zaubertrank. Maximal eine halbe Stunde, dann geht es weiter. Die Farben wirken wieder bunter, die Bauernhöfe stilvoller und die Landschaft insgesamt attraktiver. Über schmale Wirtschaftswege und entlang einer Bahntrasse gelange ich schließlich nach Schin op Geul. Von oben betrachtet ein malerisches Örtchen. Am Rand des Friedhofs vor der Sint Mauritiuskerk steht eine sonnenbeschienene Bank. Hier kann ich meine selbst zubereiteten Müsli-Riegel, die Gänseblümchen im Rasen, die Kirche und den weiten Blick über Süd-Limburg genießen und für Balou frisches Wasser aus dem Wasserhahn zapfen.
Über die Hauptstraße führt das Amstel-Gold-Race. Wir legen für die Radrennfahrer eine kurze Pause ein, bis die Ordner uns das Zeichen zum Queren geben. Einige hundert Meter geht es an der wild mäandernden Geul entlang. Bei der Brand Brauerei in Wijlre stoßen wir auf die Gulpener Straße, der wir nun leider bis Gulpen folgen müssen. Wir gelangen von oben herab in das Städtchen und haben bereits von weitem einen Blick auf einen quirligen und gut instand gesetzten Platz im Ortskern. Der Nachteil an den Hügeln ist, dass wir auf der anderen Seite des Dorfes ungefähr die gleiche Anzahl an Höhenmetern zu erklimmen haben.
Nachtgeräusche
Nach 200 Metern stehe ich vor dem Boerderijcamping Berghemmerhof. Ein imposantes Wirtschaftsgebäude mit von Buchen- und Weißdornhecken eingefassten Rasenflächen. Balou und ich werden freundlich empfangen und wir bekommen eine Fläche auf einer großzügigen Campingwiese, die tatsächlich in alle Richtungen einen wunderbaren Blick bietet. Knapp 30 Stellplätze gibt es hier, die sich aber an keiner Stelle zu nah kommen. Während ich mein Zelt aufbaue, genieße ich die Aussicht über die Hügel des Mergellandes. Zufrieden setze ich mich auf den Rasen vor meinem Zelt und bereite mir das Abendessen zu. Auch wenn Sanitäranlagen auf Campingplätzen für mich nicht das Wichtigste sind, muss ich dem Berghemmerhof für die Ausstattung und den Pflegezustand ein großes Kompliment machen. Es ist alles bestens. Wie sich später herausstellt, ist auch ein Besuch der Gulpener Brauerei, in der sich ausgezeichnet bio-regional speisen und trinken lässt, unbedingt zu empfehlen.
Abgesehen von den jungen Rindern, die auch in der Nacht von der Silage fressen und dabei Geräusche machen, ist es angenehm ruhig. Die Vögel wecken mich, noch bevor die Sonne den östlichen Himmel in alle möglichen Rot-Töne taucht. So gestärkt und motiviert setze ich die Wanderung fort, die ich eigentlich schon mehr als einmal abbrechen wollte.
Wechselbad
Sonnig, hügelig, abwechslungsreich, anstrengend. Wahrnehmungssplitter: zwei Golfplätze – hier bleibe ich kurz stehen und schaue einem Dreier-Flight beim Abschlag zu; ein Campingplatz mit dem schönen Namen „du vieux Moulin“ – der Weg führt mitten hindurch, und ich wundere mich über das Geschmacksempfinden von Dauercampern; ein langgezogenes naturgeschütztes Fluss-Tal – wie in zivilisationsferner Wildnis und doch nur einen steilen Hügel hinauf zum nächsten Ort.
An der Friedhofsmauer finde ich eine ruhige Bank, auf der ich meine Gemüsebrühe kochen kann und einige Müsli-Riegel esse. Das Gefühl, mit Appetit zu essen oder Hunger zu haben, ist mir unterwegs abhanden gekommen. Widerwillig esse ich, um Kalorien aufzunehmen, um den Kopfschmerzen zuvor zu kommen, um weiter laufen zu können.
Erwartungsfroh
Beim Abstieg in den Ort stelle ich fest, dass er Plombières heißt, ich also bereits in Belgien bin und das schon eine Weile. Ich komme durch Moresnet und schließlich durch Kelmis. Nach einigen hundert Metern entlang der Göhl liegt der Naturcamping Hammerbrücke vor uns. Meine Erwartungen sind hoch, da ich auch ansonsten gerne Urlaub auf Naturcampingplätzen mache. Das gekonnte Kultivieren von Wildkräutern und Kulturpflanzen im Neben- und Miteinander, die behutsame Pflege von Sträuchern und Bäumen, das zurückhaltende Ausstatten mit Möbeln und anderen Gestaltungselementen aus natürlichen Materialien, vorsichtig in die Landschaft integrierte Stellflächen für Zelte und Caravans – all dies habe ich aufgrund meiner Erfahrungen an froher Erwartung im Kopf und fühle mich sehr enttäuscht.
Im Eingangsbereich befindet sich ein Gebäudeensemble, das vor allem rückseitig mit allerlei ausrangierten und gelagerten Materialen zugestellt ist. Auch zum Platz hin macht die Ansammlung von Unterständen und Utensilien auf mich einen unordentlich-ungepflegten Eindruck. Die Sanitäranlagen zeigen mit Holztüren und natürlichem Putz gute Ansätze, aber auch hier vermisse ich die Konsequenz. Ein kleines mit Staketen eingefasstes Beet reicht für mein Empfinden nicht aus, um das Gelände als eine liebevolle Kooperation mit der Natur zu gestalten. Ich finde, der Begriff Natur sollte nicht als Synonym für Vernachlässigung benutzt werden.
Das Wetter meint es übrigens gut mit Balou und mir. Auch am vierten Tag ist es trocken, die Sonne scheint, dabei weht ein kühler Wind. Es scheint aber bis kurz vor unserer Wanderung geregnet zu haben, denn wir müssen über schlammige kleine Pfade, und viele Wege sind immer noch mit einem fein rieselnden Wasserfilm überzogen. Jetzt lernen wir Kunststoffpaletten kennen. Auf ihnen soll der Wanderer stark versumpfte Stellen überbrücken. Trotz der zweifelhaften Ästhetik funktioniert das auch. Dennoch: solche Materialien gehören nicht in die Natur.
Hindernislauf
Regelrecht bestraft für diese undankbar kritischen Gedanken fühle ich mich in der Folge durch die zahllosen Wiesenschleusen, die ich zu passieren habe. So unterschiedlich sie in Gestaltung und Material sind, sind sie in ihrer Funktion gleich hinderlich. Mit meinem 70-Liter-Rucksack passe ich nicht hindurch. Also muss ich alle paar hundert Meter meinen schweren Rucksack absetzen, mühevoll über die Schikane heben, hindurchgehen und den Rucksack anschließend wieder aufsetzen. Etappe vier ist mit knapp 21 km zwar nicht die längste, aber die abenteuerlichste. Nachdem ich unzählige Wiesen-Schleusen-Schikanen passiert habe, stehe ich vor einem nächsten Hindernis. Über die stark befahrene zweigleisige Bahnstrecke führt zwar eine Brücke, sie ist aber frisch mit Stahlmatten armiert, so dass sie für uns unpassierbar ist. Mir bleibt nichts anderes übrig, als Balou auf den Arm zu nehmen, die steil-holprige Böschung hinunter zu wanken, die Schienen zu überqueren und die Böschung auf der gegenüberliegenden Seite hochzuklettern.
Wir nähern uns Eupen. Am Horizont macht sich das Hohe Venn immer markanter bemerkbar, und während ich noch darüber nachdenke, ob das für meine Wanderung eher Verheißung oder Drohung ist, bemerke ich, wie mein Fußweg im üppigen Wiesengras immer unkenntlicher wird. Komoot gibt die klare Anweisung weiter geradeaus zu gehen. Das Gelände wird zunehmend morastig, ich trete gezielt auf trockenere Grasbüschel und halte mich an jungen Weidenstämmchen fest. Als das erste Wasser in meine Schuhe dringt und sich die Schuhe nur noch mit schmatzenden Geräuschen vom Boden trennen lassen, sehe ich ein, dass es so nicht weiter geht. Kilometerlang zurückzugehen ist keine Alternative. Rechts von mir ist eine mit Brombeeren und diversen Sträuchern dicht bewachsene Böschung. Balou und ich schlagen uns dort hindurch nach oben und stehen unvermittelt schlammbesudelt und zerkratzt auf der Hoffläche eines Bauernhofs. Ich schaue weder links noch rechts, sondern bewege mich fast im Laufschritt über das Privatgelände und erreiche die langersehnte Straße. „Etappe 2 von het Hertoglimburgpad“ stand bei Komoot über diesem Abschnitt. Solchen Begriffen sollte man nicht vertrauen, stelle ich fest, sondern sich noch kritischer mit den Wegen auseinandersetzen.
Mit schlammigen Pfötchen, Schuhen und Hosenbeinen lassen wir uns in der Außengastronomie auf dem Marktplatz in Eupen nieder und werden sogar freundlich bedient. Ein guter Wendepunkt dieser bisher eher zweifelhaften Etappe. Es folgt ein wunderschöner Waldabschnitt, der erst an der Talsperre Lac de la Gileppe endet. Noch ein paar hundert Meter und ich erreiche den Campingplatz de la Gileppe. Ein Platz, der im Prinzip Dauercampern zur Verfügung steht und eben auch so ausgestattet ist. Ich werde freundlich empfangen, bekomme einen ordentlichen Platz für mein Zelt zugewiesen und gehe früh schlafen, um Kraft für die längste Etappe meiner Tour zu tanken, die am nächsten Tag bevorsteht.
Tag fünf knüpft nahtlos an Tag vier an und leitet uns zuerst einmal über Wiesen mit einigen Schleusen-Schikanen. Diesmal kommt mir die Frage nach dem Stier in den Sinn, der hoffentlich nicht plötzlich über die Kuppe herangaloppiert.
Königsetappe
Und dann werden nach diesem zweifelhaften Einstieg die 26 km dieses Tages tatsächlich zur Königsetappe. Das scheint mir der gewundene Kirchturm von Jalhay im weichzeichnenden Morgenlicht vermitteln zu wollen. Das grandiose Croissant aus einer Jalhayer Boulangerie gibt ihm bereits recht. Nach einer kurzen steil abwärts führenden Wiesenpassage stehe ich vor dem Ruisseau de Dison, einem kleinen Bach in einem schmalen Tal.
Die einzige Brücke weit und breit ist unpassierbar. Eine mächtige Fichte hat sie beim Fällen unter sich begraben und scheint dort nun für längere Zeit zu ruhen. Immer auf einem Fuß balancierend, ziehe ich Schuhe und Socken aus, krempele die Hose hoch und wate barfuß durch den Bach. Das tut den Füßen, dem Kreislauf und der Laune insgesamt gut. Eine willkommene Erfrischung, obwohl es noch recht kühl ist. Nachdem ich den darauf folgenden Hang erklommen habe, geht es wieder steil hinunter und dann erreiche ich den Fluss Hoegne. Eine solche urtümliche und urwüchsige Landschaft mitten in Belgien, das hätte ich nicht erwartet.
Der Fluss schlängelt sich durch karstige Hügel, an Hochmooren entlang und ich bekomme ihn durch das ständige Wechseln der Uferseite von allen Seiten zu Gesicht. So viel frisches Wasser, so viel unberührte Natur, so wenig Menschen und kein Lärm. Das ist es, wofür ich mich auf den Weg mache.
Unvermittelt steht vor mir ein angespitzter Baumstumpf, der von Holzspänen umgeben ist. Hier gibt es Biber wird mir klar, obwohl ich es nicht recht glauben kann. Den Spuren dieser Nager begegne ich auf der Strecke mehrmals, leider bekomme ich keines der Tiere zu Gesicht. Einige Kilometer gehe ich die Hoegne stromauf. Es ist einsam, die Luft ist voller Aerosole, Lichtreflexe liegen auf dem Wasser, fröhlich sprudelnd springt der Fluss über die Felsen und auch das letzte recht steile Stück bleibt ein grandioses Naturerlebnis.
Geradlinig
Im Anschluss mache ich einige Kilometer auf einer ehemaligen Bahnstrecke der RAVEL ligne 44 a – ein schmaler frisch asphaltierter Weg, auf den ich bis zum Campingplatz l’eau rouge immer wieder zurückkomme. Einige Abschnitte sind so gerade, dass der Weg in der Ferne mit dem Horizont verschmilzt. Obwohl ich kein Freund asphaltierter Abschnitte bin, habe ich die Kilometer auf der RAVEL ligne in guter Erinnerung. Und dann werde ich von einem „Hornissenschwarm“ angegriffen. Hochfrequente aggressive Töne bedrängen mich. Schließlich realisiere ich, dass ich oberhalb der Rennstrecke von Spa-Francorchamps wandere. Etwas Mitleid mit dem hier heimischen Wild kommt auf. Nach einiger Zeit geht es mir wohl wie ihnen: ich habe mich dem Lärm ergeben und nehme ihn kaum noch wahr.
Ein letzter steiler Abstieg und ich erreiche den ordentlichen, gut gepflegten Campingplatz l’eau-rouge, mit großzügig parzellierten Zeltplätzen, der in der Vorsaison über viel Freiraum verfügt. In unmittelbarer Nachbarschaft zu einer Kuhwiese baue ich das Zelt auf. Vor dem Einschlafen wird mir bewusst, einen besonders abwechslungsreichen Wandertag erlebt zu haben.
Loblied
Um halb sechs wecken mich die Regentropfen. Auch um halb sieben fallen sie noch aber nicht mehr so dicht. Es hilft nicht, ich stehe auf, bringe Balou und den Rucksack zu einem Unterstand und verpacke zum ersten Mal mein Zelt regennass. Der Rucksack, so kommt es mir vor, ist an Tag sechs am schwersten. Es muss an der Nässe liegen. Es wird auch im Laufe des Tages nicht besser, obwohl der Regen bald aufhört, die Sonne die Wolken vertreibt und wieder schönes Wanderwetter herrscht.
Während ich durch ausgedehnte Waldgebiete wandere, fällt mir auf, dass meine neuen Wanderschuhe die perfekte Investition waren. Nach gut 100 Kilometern darf ich dieses Resümee ziehen. Die Firma Lowa hat sich mit dem Delago GTX endlich getraut, einen mutig designten Schuh auf den Mark zu bringen und eine Passform zu bieten, die bei Dämpfung, Abrollverhalten, Halt und Schutz ihresgleichen sucht. Einen besseren Schuh hatte ich noch nie am Fuß. Großes Kompliment an Lowa und das Entwicklungsteam.
Begegnung
In Stavelot geht es ermüdend lange steil aufwärts. Schließlich bin ich auf dem GR 5, dem ich bis Vielsalm folge. Als waldreich, einsam, abgelegen kann ich weite Teile dieser Strecke beschreiben. Ganz ohne Aufregung will mich der beschauliche Abschnitt aber nicht in die Zivilisation entlassen. Denn wie aus dem Nichts kommt in der Waldeinsamkeit ein Molosser auf uns zu. Ich lasse Balou von der Leine und bleibe still stehen. Der massige Riese zeigt zum Glück kein aggressives Verhalten, aber mein kleiner Cockapoo klemmt die Rute ein und präsentiert das komplette Repertoire an Unterordnungsgesten. Ein schief grinsender älterer Herr mit Schiebermütze, Gummistiefeln und blauer Arbeitsjacke macht erfolglose Rückrufversuche, so dass wir uns schließlich langsam auf ihn zubewegen und er endlich seinen Hund am Halsband halten kann. Kurz bin ich versucht, ihm einen Besuch in meiner Hundeschule zu empfehlen. Leider fehlen mir dazu noch die französischen Vokabeln.
Etappenziel
Beredt-schweigend ziehen wir weiter, mit jedem Schritt wird der Puls wieder flacher und schließlich sind wir in Vielsalm, dem Ziel der sechstägigen Trekking-Tour. 120 anstrengende, abwechslungsreiche, quälende, ernergiespendende, ermüdende, aufwühlende und ereignisreiche Kilometer sind geschafft. Ich bin gespannt, wie viele auf unserem Weg nach Süden noch folgen werden.