Allein im Sternenpark

Das war sie jetzt, meine erste Trekking Tour. Drei Tage in der Nordeifel: von Nettersheim zur „Schlüsselstelle“, dann weiter bis „Ich bin mal kurz weg“ und wieder zurück nach Nettersheim. Gut dreißig Kilometer insgesamt. Im Prinzip keine große Sache.

Hindernisse

Zuerst wegen einer Knieoperation und dann wegen Corona musste ich die Premiere zweimal verschieben. Das sollte jetzt nicht wieder passieren. Und doch hatte ich das Gefühl, dass alles darauf hinauslaufen würde. Halsschmerzen, Knieschmerzen, Hüftschmerzen und so weiter. Und dann die vielen Gedanken. Wie willst du drei Tage lang einen Rucksack mit über 18 kg schleppen? Hast Du mit Wanderstöcken in der Hand überhaupt genügend Einwirkungsmöglichkeiten auf den Hund? Findest Du immer rechtzeitig vor dem Ziel Wasser? Geht das überhaupt, drei Tage nicht zu duschen? Hast Du genug zu essen dabei? Sind Komposttoiletten nicht unhygienisch?

Ein halbes Jahr zuvor, das Outdoormagazin in der Hand und das Buch von „Fräulein Draußen“ noch frisch im Kopf, war die Vorstellung der Trekking Tour romantisch verklärt. Die Vorfreude nährt sich von strahlendem Sonnenschein, fröhlich plätschernden Bächen, leichtfüßigen Schritten, Milliarden funkelnder Sterne und einem phantastischen Schlaf im Zelt.

Hilfestellung

Je näher der Termin rückt, desto mehr drängen die Fragen. Schließlich setze ich mich aber ins Auto und fahre los. Eine „großräumige“ Umleitung bereits kurz nach der Abfahrt, ein nerviger Stau auf der A 44, zahllose LKW und Traktoren auf der Landstraße machen aus den 130 Kilometern Anfahrt fast eine Halb-Tagesreise. Endlich am Bahnhofsparkplatz in Nettersheim angekommen, bin ich der dritte Autofahrer, der es auf eine Parklücke abgesehen hat. Die beiden Autos vor mir belegen zielstrebig die zwei freien Plätze, die ich ins Auge gefasst hatte. Jetzt ist auch der letzte Rest Contenance dahin. Nach großer Aufregung entdecke ich ganz am Ende den tatsächlich letzten freien Parkplatz. In der engen Parklücke versuche ich meinen viel zu schweren Rucksack zu schultern. Bei diesem Manöver fallen die beiden Äpfel, die ich entspannt beim Einwandern essen wollte, auf den Boden und rollen unter mein Auto. Die Tasche mit den Hunde-Leckerli, Hundefutter und Hundekotbeuteln pendelt auf Gürtelhöhe, die Wanderstöcke verheddern sich mit der Hundeleine und Balou sitzt immer noch in der Autobox und sieht mich mitleidig an.

Schließlich ist alles irgendwie verstaut, Balou an der Leine, das Auto abgeschlossen, und meine Garmin-Uhr meldet eine erhöhte Herzfrequenz. Ich finde die Hinweisschilder zum Eifelsteig und beginne verhalten, einen Fuß vor den nächsten zu setzen. Nach knapp zwei Kilometern kehrt allmählich Ruhe ein. Das macht Platz für einen neuen nicht weniger aufwühlenden Gedanken: Ich habe nicht darauf geachtet, ob das Parken am Nettersheimer Bahnhof etwas kostet. Abrupt bleibe ich stehen, lasse den Rucksack zu Boden, wische mir den Schweiß von der Stirn und gehe meine Optionen durch. Zurücklaufen macht vier überflüssige Kilometer. Angesichts der Uhrzeit und des Rucksackgewichts fällt diese Idee durch. Einfach weiterzulaufen erscheint mir ebenfalls nicht möglich. Denn dann müsste ich drei lange Tage darüber nachdenken, auf welchem Bauhof ich mein abgeschlepptes Auto wohl werde abholen müssen. Endlich komme ich auf die Idee, die Telefonnummer des Ordnungsamtes von Nettersheim zu googeln. Eine sehr freundliche Dame meldet sich dort und hört sich meine Geschichte amüsiert an. Sie kann mich beruhigen, schreibt sich noch das Kennzeichen für alle Fälle auf und entlässt mich mit einem entstressten Kopf. Eine derart zuvorkommende Behandlung hatte ich von einem Ordnungsamt nicht erwartet. Eine Stadt, die sich gerade von den Schäden der Flutkatastrophe erholt, hat wahrlich andere Sorgen, als sich um einen zerstreuten Wanderer zu kümmern. In Gedanken vergebe ich der Stadt Nettersheim im Allgemeinen und dem Ordnungsamt im Besonderen fünf Sterne und verleihe der freundlichen Verwaltungskraft den Titel Mitarbeiterin des Monats.

Leidensweg

Gerne würde ich hier erzählen, dass es jetzt beschwingt weiterging. Aber das wäre stark geschönt. Mein Deuter-Rucksack drückt von Beginn an. Auf den Hüftknochen, auf den Schultern, im unteren Rückenbereich. Ich löse die Gurte, ich ziehe sie wieder an, ich beiße die Zähne zusammen und beschließe, nicht aufzugeben. Jetzt verstehe ich, dass ein Trekking-Rucksack sehr sorgfältig ausgewählt sein will, zur eigenen Körperform passen muss und die Auswahl in den üblichen Sportgeschäften in der Regel viel zu übersichtlich ist.

Dass die Sonne scheint, der Weg einsam und schön ist, die Natur trotz des frühen Herbstes noch üppig und grün: das alles nehme ich nur wie durch einen Schleier wahr. Keine der Emotionen, die mich beim Anschauen der Trekking-Tour-Fotos im Outdoormagazin berührt haben, macht sich in der Realität bemerkbar. Ich laufe angestrengt vor mich hin, mache nur kurze Pausen zum Trinken und Essen, habe mit Balou zu tun, muss ein Foto machen und immer wieder die Druckstellen unter den Rucksackgurten durch Lastverlagerung entlasten.

Kurz vor dem Anstieg nach Steinfelderheistert führt eine Brücke über den Kuttenbach. Diese Stelle hatte ich mir auf der Karte angeschaut und eingeplant, hier meine Wasserflaschen aufzufüllen. Der Bach sprudelt quirlig und ich gelange problemlos zu einer Stelle, an der ich meinen Katadyn-Wasserfilter einsetzen kann. Mühelos pumpe ich das frische Eifelwasser in meine Sigg-Flaschen. Nachdem das erledigt ist und die Alu-Flaschen vor Kälte beschlagen, merke ich, wie ein Teil der Anspannung von mir abfällt. Auf diese Art Wasser zu beschaffen, das hatte ich in meinen 55 Jahren noch nicht gemacht. Zaghaft trinke ich von dem Wasser und freue mich über das Gefühl von Klarheit und Frische, das ich am Gaumen und auf der Zunge spüre.

Ankommen

Es geht noch einmal steil bergauf durch den Ort, schließlich über einige Wiesen zum Waldrand, an dem ich entlanglaufe und als erstes das Holz-Toiletten-Häuschen entdecke und dann die Plattform für das Zelt. Das ist sie also, die „Schlüsselstelle“. Es ist ungefähr halb fünf. Gegen halb acht wird es dämmrig. Zeit genug, mein Zelt aufzubauen. Zuerst gebe ich Balou eine Futterration, und anders als erwartet, geht er nicht auf Entdeckungstour, sondern bleibt friedlich auf der Plattform und beobachtet meine Zeltaufbau-Bemühungen.

Speziell für diese Wanderung hatte ich mir das Trekkingzelt Nordisk Oppland 2 LW gekauft, weil es mit 1.850 Gramm sehr leicht, aber auch so geräumig ist, dass es für zwei Personen Platz bietet und noch eine Apside hat, in der Balou schlafen wird. Es klingt vielleicht wenig tierlieb, aber ich wollte keinen verdreckten, nassen und eventuell mit Insekten behafteten Hund in meiner Schlafkabine haben.

Niemand schaut mir auf die Finger, die Sonne scheint, es ist ausreichend Zeit vorhanden und doch fühle ich mich beim Zeltaufbau eigenartig gehetzt. Dummerweise gebe ich dieser Stimmung nach, und als ich nach gut anderthalb Stunden das Zelt zum ersten Mal aufgebaut habe, bin ich zwar mit meinem temporären Zuhause zufrieden, aber leider habe ich diese Phase meines kleinen Abenteuers nicht so recht genießen können.

Der Gaskocher mit Piezozündung von Edelrid funktioniert, die Suppe ist im Titanium-Topf bald gekocht und der Tee danach ebenfalls. Ich sitze auf meiner Plattform, starre in das Unterholz und warte angestrengt auf das Gefühl der großen Freiheit, dass sich einfach nicht einstellen will.

Überwindung

Trotz der Lauferei während des Tages muss ich noch einen kurzen Abendspaziergang mit Balou machen. Und während ich die Zinnen des Klosters Steinfeld betrachte, den rötlich verfärbten Himmel, die gemähten Wiesen, auf denen sich schon Tau bildet, und den dunklen Waldrand, kommt die leise-flüchtige Ahnung, etwas ganz Besonderes erleben zu dürfen.

Zurück am Camp ziehe ich mir Daunenjacke und Wollmütze an, um im Sternenpark Eifel auf das Wunder des Sternenhimmels zu warten. Als um halb neun der Abendstern zaghaft aufflackert, bin ich aber so müde, dass der Sternenpark ohne mich auskommen muss. Wir gehen schlafen.

Balou bekommt eine kuschelige Schlafunterlage und zusätzlich noch einen ausrangierten Schlafsack meiner Tochter. In der sehr kalten Nacht denke ich im Halbschlaf mit schlechtem Gewissen häufiger an meinen Hund, von dem ich nichts höre und frage mich, ob er wohl genauso friert wie ich. Aber während meine Füße in dem für diesen Temperaturbereich nicht geeigneten Schlafsack zu Eisklötzen geworden sind, begrüßt mich Balou am nächsten Morgen voller Freude, Energie und Neugier. Ich hingegen kann auf meiner Ausrüstungsliste neben dem Rucksack nun auch noch einen Schlafsack mit dem Hinweis „nicht tauglich/zu ersetzen“ markieren.

Begleiterscheinungen

Die Geräusche der Nacht, so hatte ich es immer wieder gelesen, sind beim Trekking Teil des Abenteuers. Mit Mütze auf dem Kopf und tief in der Kapuze des Schlafsacks vergraben, bekomme ich außer dem unverhofften Bellen von Balou nicht viel mit. Nicht viel wird mir allerdings schnell zu viel, denn die Geräusche der auf den umliegenden Straßen fahrenden Autos schaffen es durch Mütze und Schlafsack sehr penetrant bis in mein Ohr. Zu erschöpft, mich darüber zu ärgern, schlafe ich mit dieser Geräuschkulisse ein und werde auch am nächsten Morgen damit wach. So schön das Trekking-Camp Schlüsselstelle gelegen ist, so störend waren für mich die Verkehrsgeräusche.

Mein erster Gedanke am ersten Morgen meiner Tour ist: es hat geregnet. Die Holzplattform ist nass, das Zelt ist nass sowie alles andere, das die Nacht im Freien verbracht hat. Wie ein starker Regen hat der Tau in der kalten klaren Nacht alles überzogen. Ich versuche, mit meinem Fleece-Handtuch das Zelt abzutrocknen. Gefühlt wringe ich mehrere Liter Tauwasser in die Natur, und im Ergebnis ist das Zelt immer noch nass. Als die Sonne aufgeht, schleppe ich Schlafsack und Zelt auf die Wiese und drapiere beides in der Morgensonne. Der im Baum hängende Schlafsack wirkt recht schnell gut durchlüftet, das Zelt hingegen hält an seiner Feuchtigkeit fest. Nachdem ich alles andere bereits verstaut, den Hund versorgt, der Komposttoilette einen Besuch abgestattet und gefrühstückt habe, lässt sich der Aufbruch nicht mehr weiter hinauszögern. Notgedrungen packe ich das nasse Zelt in einen wasserdichten Packsack und stecke es so in den Rucksack. Der wird geschultert und wirkt trotz leerer Wasserflaschen schwerer als am Vortag. Dennoch laufe ich gut gelaunt der Morgensonne entgegen. Mir fällt ein, dass ich die Dusche nicht vermisst habe, die Merino-Bekleidung noch nicht streng riecht und die Komposttoilette eher eine Nadelholz-Note als etwas anderes verströmt hat.

Inspiration

Jeder Höhenmeter des Felsenweges, den ich Richtung „Ich bin mal kurz weg“ gewählt habe, bleibt eine Herausforderung. Der Rucksack passt auch am zweiten Tag nicht besser, aber es stellt sich eine gewisse Routine ein. Wie ich Wasser gewinnen soll, bereitet mir kein Kopfzerbrechen mehr, wie sich mein Hund in der Eifel verhält, habe ich auch verstanden, und so geht es doch sehr viel entspannter bei herrlichem Herbstwetter mit jedem Schritt dem Ziel entgegen. Dennoch schleicht sich kurz vor dem Camp der Gedanke ein, die wenigen Kilometer nach Nettersheim weiterzuwandern und keine weitere Nacht im Freien zu verbringen. Schließlich war für die Nacht Regen angesagt. Ich prüfe den Handyempfang und stelle fest, dass bestes Wetter in Aussicht gestellt wird.

Also gibt es keine Ausrede, und ich suche das Trekkingcamp. Es liegt gut versteckt im lichten Nadelwald oberhalb des Eifelsteigs. Und es ist exakt so, wie ich mir das ideale Camp vorstelle. Die Fichten duften, die Plattform sonnengewärmt und es herrscht eine atemberaubende Ruhe, die nur von den Rufen des Eichelhähers und dem Murmeln der Urft durchbrochen wird. Wie gut, dass ich nicht aufgegeben habe. Der Zeltaufbau geht schon viel schneller und bei leichtem Wind, Sonne und warmer Luft ist alles im Nu trocken. Ich setze mich auf die Plattform und genieße den Moment. Nein, ich kann nicht berichten, dass ich ein besonders erhebendes Gefühl, ein Schlüsselerlebnis oder ähnliches gehabt hätte. Aber in diesem Moment ist mir klar, dass ich weitere Trekkingcamp-Touren machen werde. Ich genieße den Abend und warte gar nicht erst auf das Aufleuchten der Sterne, sondern gebe meiner Müdigkeit nach und lege mich mit zwei Paar Socken an den Füßen und meiner Daunenjacke im Fußbereich des Schlafsacks ins Zelt. Unter der Plattform raschelt es und Balou bellt kurz in der Nacht, das sind die einzigen Geräusche, die durch Mütze und Schlafsack zu mir dringen.

Fortsetzung

Am nächsten Morgen ist es nur halb so nass und dank der Routine des Vortags bin ich um einiges früher unterwegs. Der Weg führt entlang der Urft bis Nettersheim. Die Folgen der Flutkatastrophe sind offensichtlich. Die Schienen der Urfttalbahn sind unterspült und verbogen. Geröll und Gehölz stapeln sich an diesem friedlichen Morgen im Frühherbst und mahnen eindringlich, sich mit der Natur zu versöhnen.

Ich genieße meine Ankunft in dem schönen Städtchen Nettersheim, das nicht in einer Katastrophen-Lethargie erstarrt ist, sondern in dem sehr emsig wieder aufgebaut wird. Ein frisch aufgebrühter Kaffee mit einem belegten Brötchen vom örtlichen Bäcker heißen mich willkommen in der Zivilisation. Mein Auto steht da, wo ich es abgestellt hatte, und auf dem Rückweg freue ich mich, dass es über hundert weitere Trekkingcamps in Deutschland gibt.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert